Rita Kuczynski hat Deutschlandexperten aus Ost und West über ihre Ansichten zur DDR befragt
Deutschlands Nabel, international beschaut, das bietet Rita Kuczynskis drittes Interviewbuch über die ostdeutsche Übergangsgesellschaft. Die Rache der Ostdeutschen (2002) hatte PDS-Wähler befragt, Im Westen was Neues – Ostdeutsche auf dem Weg in die Normalität (2003) gab jenen Ostlern Stimme, die sich, wie es so schwülstig heißt, in der Einheit angekommen fühlen. Diesmal holt die Autorin weiter aus und versammelt die Ansichten so genannter Deutschlandexperten, die, mit drei Ausnahmen, sämtlich aus früheren Ostblockstaaten stammen.
Das Buch macht ein bisschen eifersüchtig. Sein (ost)deutscher Leser fühlt sich wie ein Bauer, dem Durchreisende das eigene Dorf erklären. Neunzehnmal der fremde Blick, dreihundert Seiten lang. Manch rigoroses Urteil und Klischee, doch die fundierte Analyse überwiegt. Wenig Sympathie und keine Komplimente für den Osten, nicht mal für die friedliche Revolution. Das ist wohl die retrospektivische Strafe für den einstigen moskowitischen Musterschüler DDR. Ein »Furz der Geschichte« sei sie gewesen, findet Adam Krzeminski, während »die volkspolnische Zeit durchaus in der polnischen Geschichte eine Phase« bilde. Ah, diese ostgeschwisterliche Wärme kennt man aus voriger Zeit. Gern reduzierten die lieben Brudervölker die DDR, bekanntlich ausnahmslos besiedelt von Partei-Kamarilla und preußischen Duck-Mäusern, auf eine Transitzone zum richtigen Deutschland: dem Westen.
Der Titel ist ein Summary des Buchs. Verblüfft nimmt man zur Kenntnis, dass schier weltweit die deutsche Teilung immer nur als Provisorium galt – außer in der DDR und der Bundesrepublik. »Deutschland ist Deutschland und muß Deutschland sein«, dekretiert Estlands Expräsident Lennart Meri. Ängste ob der Vereinigung? Keine, nirgends. Der Rechtsradikalismus, die Untaten à la Rostock und Mölln? Bedauerlich, doch anderseits nicht unnormal; in Osteuropa sei man derlei gewohnt.
Rita Kuczynski hat all ihren Gesprächspartnern dieselben Fragen gestellt: nach PDS und Gauck-Behörde, nach der Ostalgie, nach dem Verhältnis zu den USA… Fast durchweg wird die Ablehnung der Bush-Administration mit Antiamerikanismus gleichgesetzt; ebenso auffällig ist die permanente Verwechslung von SED-Regime und ostdeutscher Lebenswelt. Die zentrale Frage lautet: »Halten Sie es für ein Glück oder ein Handicap, daß die Ostdeutschen, im Gegensatz zu Ihrem Land, eine Bundesrepublik hatten, der sie sich anschließen konnten?« Sowohl als auch, das ist der Tenor der Erwiderungen. Von der D-Mark bis zum EU-Beitritt hätten die Ostdeutschen alles geschenkt bekommen (was im Fall der D-Mark vielleicht nicht ganz stimmt). Andererseits hätte dieser westgesteuerte Gesellschaftsumbau die Entfaltung eigener Gesellschaftskräfte unterbunden. »Damit haben sich die Ostdeutschen in eine parasitäre Lage gebracht«, findet Sonja Margolina und beklebt die Ossi-Parasiten mit dem Gattungs-Etikett »homo sowjeticus«. Nur der Übervater sei gewechselt worden. »Insofern braucht man auch keine eigene Elite in Ostdeutschland.«
Dies ist nicht das Niveau des Buchs. Der Bulgare Alexander Andreev benennt ein zentrales Problem: Die Ostdeutschen haben keine eigenen Medien; ihre Öffentlichkeit wird vom Westen bebildert und beschallt. Allerdings war der Französin Anne-Marie Le Gloannec schon bei DDR-Besuchen aufgefallen, dass sich die Ostdeutschen ständig via Bundesrepublik orientierten und definierten. Ergo, mit dem Engländer Richard J. Evans: »Den Ostdeutschen fehlte eine starke Identität, die bekamen sie erst ironischerweise nach der Wiedervereinigung.« Der Rumäne Andrei Plesu, eine weise Stimme, findet die Ostdeutschen den Polen, Tschechen und Rumänen ähnlicher als ihren West-Landsleuten. Der Fluss der bürgerlichen Gesellschaft sei abgebrochen; das bedeute eine Identitätsänderung. – Ansonsten gilt die so genannte Ost-Identität schlicht als Post-Wende-Fabrikat des Heimwehs nach einer DDR, wie es sie nie gegeben hat. Das ist so wahr wie ein alter Hut.
Zu schlimmer Letzt müssen sich die ostdeutschen Bürgerrechtler auch noch ein Gitterbettchen mit den DDR-Marxisten teilen. Nach 1968 sei der Marxismus nur noch in der DDR ernst genommen worden, erklärt der Pole Wlodzimierz Borodziej. Sein heiterer Landsmann Krzeminski verneint jede politische Gemeinsamkeit mit der DDR-Opposition. Wie hätten papstgläubige Polen sich verständigen sollen mit Leuten, die bis zum Mauerfall von Rosa Luxemburg schwärmten und die DDR verbessern wollten? Das bleibt nun den Erinnerungsvergoldern vorbehalten, mit wachsendem Erfolg. »Die kleinen Nationen sind gewöhnt, sich auch von außen zu sehen«, sagt der Ungar György Dalos, einer der frischesten Beiträger. »Sie sehen daher auch ihre Schwächen und das Sterbliche an einer Nation. Ich glaube, daß diese Distanz der großen Nation Deutschland fehlt.« Hierzu, das ist nicht wenig, hilft dieses Buch.