(Das Gespräch führte Anke Westphal)
Was denn für eine Krise?
Die Autorin Rita Kuczynski über die Mehrheit der Ostdeutschen, die nicht ins Bild der Medien passt
"Die Rache der Ostdeutschen" - so heißt ein Buch, in dem Sie vor zwei Jahren Menschen vorstellten, die PDS gewählt haben. Jetzt haben Sie erneut ein Buch über Ostler gemacht: "Im Westen was Neues - Ostdeutsche auf dem Weg in die Normalität". Es handelt von den 75 Prozent, die nicht PDS wählen. Warum?
Es geht um diejenigen, die sagen, die Bundesrepublik war für mich eine ungeheure Chance, noch mal zu beginnen und kreativ zu werden. Die von sich sagen: ich bin angekommen in der Bundesrepublik. Über dieses Ankommen habe ich mich mit den Leuten unterhalten, darüber, was es heißt: platte Anpassung oder kritische Distanz.
Also ein Ergänzungsbuch zu "Die Rache der Ostdeutschen"?
Ja. Ich habe beim neuen Buch die gleichen Fragen gestellt wie für "Die Rache der Ostdeutschen" und einige aktuelle Zusatzfragen.
Ihre Gesprächspartner haben alle Arbeit. Sie haben also Erfolgsgeschichten aufgeschrieben?
Ich weiß nicht, ob es Erfolgsgeschichten sind, denn da sind beispielsweise eine junge Studentin dabei und ein 30-jähriger Sozialwissenschaftler, der halbtags in einem Organisationsbüro arbeitet, große Schwierigkeiten mit der Assimilation an den Westen hatte und nun stolz darauf ist, dass man ihn nicht mehr als Ostdeutschen erkennt. Ulrike, eine der Befragten, ist Mutter von zwei Kindern und arbeitet als Kartografin. Erfolgsstorys? Sagen wir so: Ich stelle Leute vor, die vielleicht nicht großartig Geld verdienen, aber einen Platz in der Gesellschaft gefunden haben. In dem Sinn sind es Erfolgsstorys.
Worauf beruht der Erfolg Ihrer Gesprächspartner?
Sie haben durch den Mauerfall beruflich sehr viele Möglichkeiten gehabt. Überhaupt koppeln alle Befragten den Niedergang der DDR mit der Stagnation ihrer eigenen beruflichen Entwicklung. Manche sagen, es konnte ihnen nichts besseres passieren als die Bundesrepublik, auch wenn sie zu DDR-Zeiten große Verfechter des Sozialismus und Anhänger der Sowjetunion waren. Die haben alle einen spannenden Lernprozess durchgemacht.
Mit "Die Rache der Ostdeutschen" wurden Sie stark identifiziert. Hat Sie das überrascht?
Das hat mich schon überrascht. Und es war mir auch nicht recht; ich war über so viel intellektuelle Naivität erstaunt. Mitunter war aber auch politische Absicht dabei. Ich hatte das Gefühl, mit dem ersten Protokollbuch etwas bedient zu haben, was ich nicht bedienen wollte: Ich habe mit den PDS-Wählern zum Teil das Klischee von den Ostdeutschen bestätigt. Und das war gar nicht mein Anliegen - es war eines der Resultate. Ich habe von vielen PDS-Mitgliedern Lobreden auf "Die Rache" gehört: sie freuten sich, dass ich die Sache der Ostdeutschen vertrete. Das wollte ich so nicht. In westdeutschen Zeitungen stand damals, dass nun endlich mal gezeigt wird, wie östlich der Osten denkt. Da wollte ich den Spieß mit dem neuen Buch umdrehen.
Wie haben Sie die Gesprächspartner ausgewählt?
Die Auswahl repräsentiert nur eine bestimmte Gruppe: Hochschulabsolventen, deren berufliche Stagnation zu DDR-Zeiten überwiegend an Systembehinderungen gekoppelt war. Die Befragten hatten mitunter mit 27 Jahren schon oft alles erreicht - es ging nicht weiter.
Erkannten die Befragten sofort die Vorzüge des Umbruchs?
Die meisten Interviewten waren zunächst auf keinen Fall für die Wiedervereinigung. Zwei Drittel wollten eine andere DDR und sind erst durch den Umbruchsprozess von ‘89 zur Einsicht gekommen, dass das Unsinn ist mit der anderen DDR. Interessant war das emotionale Umkippen vom Entsetzen darüber, dass die Mauer auf ist, hin zur Anschauung. Die Realität der Erfahrung hat vielen die Vorurteile und Ängste genommen. Viele haben sich nach der Wiedervereinigung auch zurückgezogen von der Politik - sie verhielten sich wie in der DDR: kritisch, distanziert, abwartend. Politik ist schmutzig, meinten sie, da mache ich lieber meine Arbeit.
Gibt es da ein Unterschied zwischen West- und Ostakademikern?
Vielleicht sind Ostdeutsche nicht so ironisch wie Westdeutsche und in Selbstironie weniger geübt. Westdeutsche Akademiker balancieren oft zwischen Ironie, Nihilismus und Zynismus. Aber das bleibt letztlich Geschmackssache.
Dass "Die Rache der Ostdeutschen" kontrovers aufgenommen wurde, zeigt, wie empfindlich man in innerdeutschen Belangen ist. Jetzt erheben sehr unterschiedliche Leute Anspruch auf die DDR.
Es gibt eine junge Generation, die die DDR nur kurze Zeit erlebt hat - Zonenkinder, Schokoladenkinder -, die das alles gar nicht so schlecht fanden. Die Leute, die 13 Jahre alt waren, als die Mauer fiel, hatten ja auch die ungeheure Chance, einfach los zu gehen: Sie hatten das Gefühl, ihnen steht die Welt offen. Ein 39-jähriger Bankangestellte berichtet von der Erfahrung, dass die Ostangestellten viel flexibler sind; jeder von ihnen hat von vorn anfangen und in kurzer Zeit an die fünfmal den Arbeitsplatz wechseln müssen. Und dann nehmen Sie mal einen Bankangestellten, der 30 Jahre auf seinem Platz irgendwo in Mannheim sitzt - da gibt es da schon einen großen Unterschied.
Der unflexible Wessi ist aber auch ein Klischee!
Mir geht es darum zu widerlegen, dass die Ostdeutschen angeblich weniger können und weniger Chancen haben.
Enthält Ihr Buch nicht gewissermaßen innerdeutsche Studien?
Das stimmt insofern, als es Leute vorstellt, die sagen, man muss nicht in der PDS sein, um links zu denken und kritisch zu sein. Ein Klischee ist ja auch, dass alle ostdeutsche Kritik am System, an der Bundesrepublik, allein der PDS zugeschrieben wird. Über die Ostdeutschen wird doch immer noch erst dann gesprochen, wenn die PDSler mit drin hängen.
Oder die Nazis?
Oder die Nazis. Ostler müssen schon PDS wählen oder rechtsextrem sein, damit die Medien einen Grund sehen, über die Ostdeutschen zu sprechen. Die 75 Prozent der Ostdeutschen, die weder PDS wählen noch rechtsextrem auftreten, werden in den Medien nicht wahrgenommen, außer in so genannten Ostalgie-Shows. Darauf wollte ich mit meinem Buch hinweisen. Diese Mehrheit ist zu normal, und normal gilt als langweilig. Der Konflikt zwischen Ost und West ist auch medial inszeniert.
Was ist das Ziel dieser Inszenierung?
Wir brauchen sie zur Unterhaltung und um das gesamtdeutsche Gespräch in Gang zu halten, auch um Gefühle von Angst und Fremdheit zu konkretisieren. Hinzukommt: Westdeutsche haben ja in der Tat durch die Migration sehr viel Erfahrung mit Fremdheit umzugehen. Aber natürlich geht es bei 4,3 Millionen Arbeitslosen auch um ökonomische Konkurrenz. Vollzieht sich im Osten gerade ein Individualisierungsprozess, den die Westler viel früher durchgemacht haben?Ich finde auch dieses Thema aufgebauscht - es versetzt die Ossis in einen Minderheitenstatuts. Die Ostdeutschen haben in den letzten 14 Jahren ein ganzes System hinter sich gelassen und haben sich mehrheitlich in der Bundesrepublik zurecht- und eingefunden. Das hat ihre Individualität geprägt, die sie nun produktiv einbringen können. Ich glaube, dass es tatsächlich eine Normalisierung gibt zwischen Deutsch und Deutsch.
Für Sie ist die große Mehrheit der Ostdeutschen in der Bundesrepublik angekommen?
Sie haben sich damit abgefunden, dass vieles nicht so idealtypisch ist, wie sie es sich erträumt haben. Es geht ihnen heute weniger darum, wie es einmal werden sollte nach der deutschen Einheit, sondern darum, wie es geworden ist und wie es weitergehen wird. Die Mehrheit der Ostdeutschen ist in der Realität angelangt. Außerdem: Je stärker der Sozialstaat abgebaut wird, desto mehr nivellieren sich die Ost-West-Unterschiede sowieso. Mit dem Abbau des Sozialstaats findet zum ersten Mal seit 1945 für alle Deutschen gleichermaßen eine existenzielle Veränderung statt. Die gemeinsamen Probleme werden größer - das ist neu. Nach dem Mauerfall mussten nur die Ostdeutschen lernen, sich in einem neuen Staat zurechtzufinden und ihr Leben neu zu organisieren. Jetzt müssen auch die Westler lernen, dass ihr Staat nicht ewig bleiben kann, wie er einmal war. Alle müssen umdenken. Und da haben die Ostdeutschen tatsächlich einen Vorteil, weil sie mit solchen Veränderungen besser umgehen können.
Wie äußert sich das konkret bei den Befragten?
In meinem Buch sagt eine Frau: Krise, was ist das?! 1989 - das war eine Krise! Die DDR war am Ende, mein Leben schien zu Ende. Jetzt bin ich Pleite gegangen mit einer Videothek - na und? Ich habe meine Wohnung, die werde ich schon nicht verlieren; dann muss ich eben mit 800 Euro monatlich auskommen. Das ist doch keine Krise. - Darin stimmen übrigens viele der Befragten überein: Eine Krise hatten wir 1989 - jetzt geht es ums Wohlleben, aber nicht ums Überleben. Selbst die Studentin in meinem Buch sagt: Mein Gott, wenn die Westdeutschen eine Vermögenssteuer zahlen müssen, werden sie daran nicht sterben. Ich meine: Diese Bodenständigkeit ist wichtig für die Zukunft.